Die Zukunft der Geschichte

Aula des Deutschorden-Gymnasiums (Kopernikusstr. | 97980 Bad Mergentheim)

Was lehrt uns die Geschichte über den Umgang mit Rechtsrextremismus heute?

Seit 1973 gibt es den Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten – ein Ansporn für Schülerinnen und Schüler, sich intensiv mit historischen Themen auseinanderzusetzen. Um 1980 hat sich der Bad Mergentheimer Geschichtslehrer Hartwig Behr mit seinen Zehntklässlern des DOG daran beteiligt. Projektthema war der Nationalsozialismus zwischen 1933 und 1939. Und die Intention war es, auf lokaler Ebene nach Spuren dieser Zeit zu suchen. Das Ergebnis war aufschlussreich: Die Quellensuche war nicht einfach, die privaten Archive blieben zunächst verschlossen, von Zeitzeugen war nicht viel zu erfahren, man wollte nicht an „alte Geschichten“ rühren oder erinnert werden.

Aber der Wettbewerb war für Hartwig Behr gleichwohl die Initialzündung, am Thema dranzubleiben und tiefer in der Lokal- und Regionalgeschichte zu graben. Immer mehr Verdrängtes kam so zum Vorschein, immer mehr Material trug Behr zusammen. Wovon auch seine Schülerinnen und Schüler profitierten: Im Unterricht wurde das Thema „Drittes Reich“ stets rückgebunden an die regionalen Ereignisse. Abstrakte Zahlen, Fakten und Daten wurden so konkretisiert: Die Verbrechen sind eben nicht nur an anderen Orten oder gar im fernen Berlin geschehen. Sie haben auch unmittelbar vor der eigenen Haustür stattgefunden. Das war eindrücklich. Es war bewegend. Und erschütternd. Einen Geschichtslehrer wie Behr gibt es selten.

Im Laufe der Zeit wurde Hartwig Behr der erste Ansprechpartner, wenn es um das Schicksal jüdischer Mitbürger ging, um die 1920er bis 1940er Jahre in der Region, um die blinden Flecken in der Nachkriegszeit. Ein Aufklärer im besten Sinne war er. Im Freundeskreis ehemaliger jüdischer Mitbürger war er in den 80er und 90er Jahren maßgeblich an mehreren Einladungen von Mergentheimer Juden beteiligt, die noch rechtzeitig vor dem Naziterror fliehen konnten. Und er hat sein Wissen nicht nur in den Unterricht eingebracht, sondern auch in etlichen Vorträgen, Aufsätzen, Zeitungsartikeln und Büchern geteilt. Seine beiden wichtigsten Werke: „Vom Leben und Sterben“ über das Pogrom in Creglingen vom 25. März 1933, bei dem zwei Creglinger Juden zu Tode geprügelt wurden, und „Zur Geschichte des Nationalsozialismus im Altkreis Mergentheim 1918 – 1949“, das eigentlich an allen Schulen der Gegend zum Lehrbuch werden sollte, auch weil es sich jeden akademischen Duktus enthält und auf eine zugängliche Erzählweise setzt. Denn eines war Behr wichtig, wie er in einem Gespräch sagte: „Ich sehe die Arbeit im Kleinen als Spiegelbild des Großen. Es ist die Hoffnung, dass die Sachen, die ich geschrieben habe und die da jetzt in dem Buch niedergelegt sind, gelesen und weitergetragen werden. Auf der letzten Seite seines Buches heißt es: ‚Nie vergessen‘.“

Die Studie zur Geschichte des Nationalsozialismus im Altkreis Mergentheim ist 2020 noch zu Pandemie-Zeiten erschienen. Eine würdige Buchpräsentation konnte es wegen der Kontaktbeschränkungen leider nicht geben. Im Februar 2024 starb Hartwig Behr nach langer schwerer Krankheit.

Mit dem Abend „Die Zukunft der Geschichte“ will das „Netzwerk gegen Rechts Main-Tauber“ einerseits an Hartwig Behr und seine Arbeit erinnern. Professor Dr. Thomas Schnabel, der seinerzeit ein Geleitwort zum Buch beisteuerte, wird das in einem kurzen Impulsvortrag tun. Vor allem aber soll in der sich anschließenden Podiumsdiskussion das Engagement, die Forschung und Intention Behrs weitergedacht werden: Was kann die Beschäftigung mit der dunkelsten Zeit der deutschen Geschichte für die Zukunft lehren? Wie wird das Thema an den Schulen behandelt – wie sollte es behandelt werden? Was bedeutet Erinnerungskultur im Zusammenhang mit Schule oder auch in der Arbeit mit Jugendlichen? Werden in der Schule Verbindungslinien zwischen gestern und heute gezogen? Wie passen die deutsche Erinnerungskultur und der pädagogische Auftrag zusammen mit dem Erfolg, den eine rechtsextreme Partei wie die AfD gerade auch bei jungen Wählerinnen und Wählern feiert? Wie kann die Auseinandersetzung mit der deutschen Schuld in verantwortungsvolles Handeln und ein mündiges Demokratieverständnis verwandelt werden? Wie lässt sich die Dringlichkeit und Wichtigkeit des Themas vermitteln, wenn keine Zeitzeugen mehr da sind, die das Geschehene durch ihre Erfahrungen beglaubigen, ja, der Holocaust für junge Menschen letztlich genauso weit „entfernt“ ist wie die Französische Revolution oder der Dreißigjährige Krieg? Was könnte man von Hartwig Behr in dieser Hinsicht lernen? Welche Rolle spielen Gedenkstätten oder Museen in diesem Zusammenhang? Wie müsste die Institution Schule beschaffen sein – ganz konkret –, um Faschismus und Rassismus Widerstand zu leisten? Können die Schule und andere Institutionen gegen soziale Medien, ein aufgeheiztes politisches Klima, gleichgültige Eltern ankommen? Wie könnten Schule und Elternschaft zusammenwirken – und ist das überhaupt erwünscht?

Um diese Fragen soll sich das Podium – besetzt mit Schülerinnen und Schülern, Pädagogen, Wissenschaftlern – drehen.

Das „Netzwerk gegen Rechts Main-Tauber“ will mit der Veranstaltung Lehrerinnen und Lehrer, Schülerinnen und Schüler erreichen. Darüber hinaus aber auch Menschen, denen die Vermittlung von Geschichte als Instrument zum besseren Verständnis der Gegenwart wichtig ist. Im Prinzip geht das Thema jede und jeden an, die oder der mit jungen Menschen zu tun hat – also Eltern und Großeltern, Patentanten oder -onkels usw.

Gewidmet ist der Abend dem Andenken an Hartwig Behr, der am Ort der Veranstaltung – dem Deutschorden-Gymnasium – mehr als drei Jahrzehnte lang unterrichtet hat. Das Netzwerk gegen Rechts Main-Tauber möchte damit seine unschätzbaren Verdienste um die Erinnerungskultur in Bad Mergentheim würdigen.